Dass es an der Nahe wunderschöne Tallandschaften mit spektakulären Felsen gibt, weiß ich spätestens seit einigen Wanderungen in der Gegend um Bad Münster am Stein. Das letzte Stück von Gensingen bis Bingen bin ich auch mal mit dem Rad gefahren. Nun sollte es also aus Mainz in die andere Richtung gehen. Meine Erwartungen waren hoch, die Temperaturen auch – etwas zu hoch, kann ich an dieser Stelle schon mal spoilern.
Erwartung vs. Realität
Expectation: Ein schnuckeliger, schattiger Flussradweg durch ein wildromantisches Tal mit spektakulären Felswänden.
Reality: Ein Radweg, der häufig keiner ist, vor allem dann, wenn es durch die Industriegebiete der größeren Ortschaften geht und der dazwischen häufig Nebenstraßen nutzt oder zwischen Bahnstrecke und Schnellstraße liegt.
Doch der Reihe nach. Start war zu Hause in Mainz, über den Gonsenheimer Wald (Schatten!) ging es über die Finther Obstfelder und Wackernheim ins Selztal, ab dort dann weitgehend flach (bis auf einen Anstieg in Ockenheim) nach Gensingen an der Nahe. Das Navi wollte mich schon über die Bundesstraße lotsen, zum Glück sah ich vorher den Nahe-Radweg abzweigen. Dieses erste Stück ist wunderbar: Weite Wiesen zwischen den Deichen, irgendwo mäandert das Flüsschen umher, hohes Gras und massenhaft Störche auf den abgeernteten Feldern ließen viel erwarten.



Erste Radwegsuche in Bad Kreuznach
Der erste Dämpfer kam kurz vor Bad Kreuznach: Anstatt an der Nahe ging es an einer vielbefahrenen Bundesstraße entlang; den Radweg zu suchen, gestaltete sich nicht als ganz einfach. Immer wieder fragte ich mich: Bin ich hier noch richtig? In Bad Kreuznach lief es dann über Deiche und wenig befahrene Straßen aber wieder richtig gut, nach ca. 40 km in den Beinen gab’s direkt an den Brückenhäusern nicht nur einen Fotostopp, sondern auch was zu essen.



Kur-Atmosphäre und spektakuläre Felswände
Danach begann der romatische Teil. Durchs mondäne Kurpark-Bad-Kreuznach ging es Richtung Salinental, vorbei an alten Gradierwerken und steil aufragenden Felsen. Besonders eindrucksvoll ist das in Bad Münster am Stein, wo links auf schroffen Felstürmen die Burgruine Rheingrafenstein thront (Wander-Tipp!), dann fährt man quasi um die Kurve und endlos entlang des Rotenfels. Der ist sowohl von oben als auch von unten beeindruckend (noch ein Wandertipp!). Komoot hatte mich vor ein paar Jahren bei einer Wanderung mal vor „alpinem Gelände“ gewarnt, was ich aufgrund meiner Herkunft (Alpen) sehr lustig fand. Der Punkt ist: Das war kein Spaß und absolut berechtigt. Wenn man so da durch fährt, würde man sich auch nicht arg wundern, wenn hinter der nächsten Kurve plötzlich die Dolomiten stünden.

Stattdessen kamen Warnschilder vor Würfelnattern (nicht giftige Schlangen, aber man soll sie halt nicht überfahren – mir hat sich auch leider keine gezeigt) und bis Bad Sobernheim viel, viel Einsamkeit. Gegenüber jeder Variante über die Landstraße – das Navi wollte mich immer dorthin lotsen, natürlich dann auch erst mal mit ordentlichen Anstiegen – finde ich ab Bad Münster den Schotterweg der RWE sehr empfehlenswert. Kilometerlang geht es über feinsten, sandigen Schotter bis zum Niederhäuser See, einer Nahe-Staustufe (deswegen gehört der Weg auch RWE).
Ist das hier wirklich der Radweg?
Danach wurde es etwas komisch. Ich habe keine Ahnung, ob das der richtige Weg war, aber nach einem Stück über eine wenig befahrene Nebenstraße an der Nahe entlang und einem falschen Abstecher über eine mittelalterliche Brücke landete ich auf einem recht eingewachsenen Single-Trail hoch über der Nahe. Als der über Felsen führte, musste ich dann doch mal absteigen. Durch einen nur etwas mehr als fahrradhohen Tunnel ging es unter Bahn und Straße durch in einen Weinberg, kurz darauf wieder auf die Straße. Man macht sowas ja auch, um Abenteuer zu erleben – das war definitiv die Abenteuerpassage.





Supermarktparadies Bad Sobernheim
Mittlerweile litt ich an Unterkoffeinierung und auch ein Eis wäre nicht schlecht gewesen. Was ich bei dieser Gelegenheit auch lernte: Tief im Nahetal darf man entweder nicht picky sein und muss den erstbesten Gasthof auch nehmen oder man muss eben noch etwas weiter fahren. Denn was sich zwischen Bad Kreuznach und Bad Münster am Stein so wunderbar nach touristischer Infrastruktur anfühlt, ist dann halt auch vorbei: Vorbei geht es an Ortschaften, die entweder nur von Landwirtschaft leben oder ihre touristischen Hochzeiten schon lange hinter sich haben. Kein Espresso, kein Eis (zumindest nicht, wenn man daran auch noch irgendwelche Ansprüche haben muss).
Bad Sobernheim war also sowas wie die Oase in der Wüste und hier zeigte sich auch, dass es ein Riesenvorteil ist, so eine Tour nicht an einem Sonn- oder Feiertag zu unternehmen: Ein riesiger REWE war geöffnet und wurde überfallen. Mit Cola, reichlich Eis, frischem Wasser, einer Banane für unterwegs und anschließend noch einem doppelten Espresso ging die Weiterfahrt doch deutlich besser.
Dass man auf dem Nahe-Radweg in den größeren Ortschaften auf normalen Straßen durch den Ort geführt wird, hat durchaus Vorteile und kommt in solchen Fällen sehr willkommen.
Zwischen den Autos durch Industriegebiet und Schluchten
In Kirn und Idar-Oberstein war das dann allerdings zwar spektakulär (man fährt vorbei an mächtigen Steinbrüchen und nur zu erahnenden ehemaligen Bergwerken), führt aber auch schon mal länger durchs Industriegebiet. Wenn man sich dann noch bei gefühlt 40 Grad in der Sonne (Schatten ist an diesen Stellen ja nicht) die Straße mit den Autos teilt oder zwischen Bahn und Schnellstraße weit weg vom Fluss und 80 km in den Beinen lang radelt, überdenkt man schon mal kurz seine Lebensentscheidungen. Andererseits würde niemand jemals so eine Tour am Stück fahren, wenn man alle Tiefpunkte vorher schon kennen würde. Und wie gesagt: Hätte ich nicht diese dumme Erwartung wildromatisch plätschernder Flusslandschaften gehabt – die eigentlich unrealistisch war – hätte mich das wahrscheinlich auch nicht weiter gestört.








Das letzte Stück bis Idar-Oberstein zog sich denn auch wie Kaugummi, weil die Stadt mit all ihren Teilen wirklich sehr langgestreckt im hier schon sehr engen Tal liegt. Man sieht auf dem Ortsschild „Idar-Oberstein“ und wähnt sich schon am Ziel – hinter der nächsten Kurve geht’s dann aber locker nochmal 5 km durch die Schlucht, die hier auch so eng ist, dass es keinen eigenen Radweg mehr gibt. Dafür entschädigt einen dann die Ankunft in Oberstein, wo einen schon von weitem die Felsenkirche begrüßt und man auf der Suche nach dem Bahnhof noch eine ganze Menge vom Ort sieht.




Ausbaufähige Beschilderung
Apropos Suche: Die Beschilderung dieses doch recht prominent beworbenen Flussradwegs (immerhin eine der ausgewiesenen Radrouten des „Radwanderlandes“ Rheinland-Pfalz) ist defintiv ausbaufähig. Ich stand doch etwas öfter als nötig am Straßenrand und suchte nach einem grünen Radsymbol an irgendeiner Laterne und verglich das mit dem Navi. An manchen Stellen ist es vorbildlich mit eigenem Symbol und so – an anderen verfährt man sich wirklich nur mangels Alternativen nicht.
Empfehlung: Lieber ab Bingen starten (oder naheabwärts fahren)
Mein Fazit: Jetzt fehlt noch das Stück zwischen Idar-Oberstein und der Quelle im Saarland auf meiner Nahe-Radweg-Bucketlist. Das mache ich sicher auch nochmal, aber ich würde auf keinen Fall wieder in Mainz starten. Man hat dann doch schon 40km in den Beinen, wenn es hinter Bad Kreuznach wirklich interessant wird. Nächstes Mal würde ich direkt in Bingen oder Bad Kreuznach starten oder sogar in die andere Richtung fahren – bergab (und dann vielleicht sogar mit besserer Beschilderung, wer weiß?); das war für mich auch nur deshalb keine Option, weil ich bei der Entfernung flexibel bleiben und nur eine Strecke mit dem Zug zurücklegen wollte. Definitiv würde ich die Route übrigens an einem kühleren Tag empfehlen. Es waren irgendwas zwischen 25 und 30 Grad im Schatten, das kann in der Sonne echt unangenehm sein. Und man sollte frühzeitig Verpflegungsstopps einplanen, denn zwischen den größeren Orten gibt’s nichts.